Montag, 14. Juli 2014

Unbequem muss möglich sein?

© ARD, ZDF, Beitragsservice



 

Salz muss der neue Zucker sein.


Ich bin ein Schleckermaul. Jeden Morgen, wenn ich aufstehe, esse ich Cornflakes. Und weil die mir nicht süß genug sind, hole ich mir die Zuckerdose aus dem Schrank und kippe mir noch mal ordentlich Zucker über meine Flakes. Hmm… das ist dann süß, herrlich!
Nun hat die Salzindustrie festgestellt, dass der Salzkonsum in Deutschland immer weiter zurückgeht, da die Menschen morgens lieber Zucker als Salz über ihre Cornflakes kippen. Hiergegen musste etwas unternommen werden.


Unbequem
ist stets
bequem.
















Ein Glas Rotwein in der Toskana und die Folgen


In einer millionenschweren Imagekampagne wurde nun ein neues Image für das Salz entwickelt.

Dafür saßen vorab in der Toskana, bei einem gepflegten Glas Rotwein, mehrere PR- und Werbe-Spezialisten und dachten darüber nach, wie man das schlechte Image des Salzes ändern könne.

„Ganz einfach“, meinte da Frank Knoll, studierter Linguist und Spezialist für Öffentlichkeitsarbeit, „Unsere Sprache besteht aus zwei Komponenten, einem Signifikant und dem Signifikat. Wenn ich nun das Wort „Zucker“ sage, dann ist das Wort das Bezeichnende (Signifikant), also einfach eine Laut- oder Zeichenfolge. Wenn ich das Wort „Zucker“ höre und an Süßspeisen und andere Leckereien denke, dann sind diese inneren Vorstellungen das Bezeichnete (Signifikat), also das, was ich mit dem Wort „Zucker“ meine. Unsere Aufgabe ist nun, diese positiven Vorstellungen, die die Leute haben, wenn sie das Wort „Zucker“ auf einer Zuckerdose lesen oder das Wort „Zucker“ hören, auch auf das Salz zu übertragen.“

http://de.wikipedia.org/wiki/Signifikat

 

Salz ist Zucker


„Charmant, so machen wir das!“ rief Jana Gruber, die junge Designerin aus Berlin, „Wir müssen irgendwie unser Salz mit dem Zucker verbinden, vielleicht so: ‚Salz ist Zucker!‘“

„Gar nicht schlecht, gar nicht schlecht“, meldete sich nun auch Jörg Mansen zu Wort, der den redaktionellen Teil des Teams bildete, „da gab es mal so einen Roman, den mussten wir in der Schule lesen, hieß ‚1984‘, da war das absolut gut erklärt und die hatten das echt drauf: ‚ Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei und Unwissenheit ist Stärke‘. Genial, oder? Natürlich ins Politische übertragen. Wenn man sagt, ‚Krieg ist Frieden‘, dann ist das so, als würden wir sagen, ‚Salz ist Zucker‘. Der positiv bewerte Begriff ‚Zucker‘ wird dem Erdboden gleichgemacht und verschwindet, und dann kommen wir dran und die Leute kaufen unser Salz!“

"Jetzt muss nur noch ein bisschen mehr Dynamik rein", überlegte Frank Knoll, "vielleicht so: Salz muss der neue Zucker sein."

"Sehr gut, sehr gut, das trifft es genau: 'Salz muss der neue Zucker' sein, das ist es!" rief Jörg Mansen begeistert, "So kriegen wir das hin. Das ist wie 'Krieg ist Frieden' nur dynamischer, besser, die Leute vergessen, was Zucker ist, die Leute vergessen, was Salz ist und kippen sich einfach nur noch irgendein Zeugs über ihre Cornflakes, egal wie es schmeckt. So läuft der Hase!"

 

Ein bisschen anders sind wir alle – Unbequem ist der neue Angepasste


Ein sogenannter „Unbequemer“ ist im Jargon der 68er Generation eine Person gewesen, die in den 1970er und 1980er Jahren in der Bundesrepublik sich gegen den politischen Mainstream stellte und dafür eintrat, dass Dinge möglich wurden, die unmöglich waren. Das heißt, ein Unbequemer war genau eine solche Person, die für gesellschaftliche Änderungen eintrat, die nicht möglich waren oder besser gesagt, nicht möglich zu sein erschienen.

Was passiert nun jedoch, wenn ARD und ZDF damit werben: „Unbequem muss möglich sein.“? Richtig. Der Begriff „unbequem“ wird nivelliert, wird bedeutungslos, wird zunichte gemacht. Denn wenn es als „politisch unbequem“ gilt, genau das zu tun, was möglich ist, sprich, was opportun ist, dann wird nicht nur Opportunismus gepredigt, sondern vor allem das verhindert, was Politik ausmacht, nämlich dass es auch „Unbequeme“ gibt, sprich Menschen, die sich gegen den Mainstream stellen, Menschen, die wissen, dass man nicht den Nimbus des „Unbequemen“ haben kann, wenn man gleichzeitig brav Rundfunkgebühren zahlt, sondern dass unbequem sein heißt, genau keine Rundfunkgebühren zu zahlen, da man die Kontrolle der öffentlichen Diskurse durch die geballte öffentlich-rechtliche Medienmacht ablehnt.

Nachtrag:
Die Werbekampagne aus dem Jahr 2012 zeigt den knapp zwei Jahre später wegen Steuerhinterziehung verurteilten Uli Hoeneß. Dies war ganz sicher nicht im Sinne der Macher, gibt der ganzen Kampagne aber im Nachhinein eine zusätzliche Note.

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